Der therapeutische Raum als Gegenteil einer Sekte

Grundsätzlich habe ich Mühe, Psychotherapie alleinig als Technik zu sehen. Vielmehr sehe ich den therapeutischen Prozess als Kunstform und vergleiche es gerne auch mit dem Prozess des miteinander Musizierens. Es wäre schwer rein theoriegeleitet festzustellen, wann es plötzlich “groovt”. Gleichzeitig hat meine rationale Seite einen grossen Hang zu evidenzbasierten Ansätzen.

Schon während meines Studiums habe ich mich im Rahmen eines Seminars intensiv mit dem “Schulenstreit” auseinandergesetzt. Dabei geht es um den bis jetzt nicht abschliessend geklärten Streit innerhalb der Psychotherapeuten-Szene, was für Therapierichtungen wirklich effektiv darin sind, psychisches Leid zu verringern. Damals war ich ziemlich entsetzt darüber, wie stark gerade die psychoanalytischen Vertreter sich dagegen gewehrt haben, ihre Arbeit aufgrund moderner wissenschaftlicher Methoden auf ihre Effektivität überprüfen zu lassen.

Dabei fiel mir die Arbeit von Klaus Grawe erstmalig positiv auf, der sich ernsthaft auf eine nicht von Ideologien geprägte “Allgemeine Psychotherapie” konzentrieren wollte, die sowohl schulübergreifend wie auch evidenzbasiert aufgebaut sein sollte. So kam es dann auch, dass ich meine psychotherapeutische Grundausbildung an dem nach ihm benannten Institut absolvierte.

Mittlerweile auch durch mehr Praxiserfahrung, kann ich mittlerweile auch die “andere” Seite mehr nachvollziehen, da es ein extrem schwieriges Unterfangen ist, die wirkliche Realität von Psychotherapie fernab oftmals sehr begrenzt verallgemeinerbaren Forschungen mit vielen Ausschlusskriterien zu erfassen.

Dennoch orientiere ich mich noch sehr gerne an Grawe’s Grundmodell. Nicht nur wegen dessen ausgezeichneter empirischer Grundlage, sondern der daraus abgeleiteten überaus humanistischen Grundhaltung. Ein grundlegendes Konzept darin ist die Unterscheidung von Annäherungs- und Vermeidungszielen. Dabei geht es beim Annäherungssystem darum, dass wir unsere Grundbedürfnisse erfüllen, während dem es beim Vermeidungssystem darum geht, uns vor Gefahren zu schützen.

Quelle: Grosse, Holtforth & Grawe (2004, S.11)



Menschliches Verhalten wird durch diese beiden Systeme gesteuert, wobei es eher dann zu psychischen Belastungen kommt, wenn das Vermeidungssystem (über-)aktiviert ist. Im Extremfall kommt es so dazu, dass Menschen völlig den Bezug zu eigenen Bedürfnissen verlieren und nur noch auf ihre Umwelt reagieren.

Eine Extremform davon findet sich in destruktiven Einzelbeziehungen oder auch destruktiven Gruppen, welche auch unter dem Begriff “Sekten” für Aufsehen sorgen. Nicht selten mit damit einhergehenden psychischen oder psychosomatischen Störungen.

Demgegenüber sollte im Rahmen einer Psychotherapie geradezu das Gegenteil stattfinden: Ein sicherer zwischenmenschlicher Raums soll erschaffen werden, indem das Annäherungssystem wieder zum Zug kommen soll.

Doch wie soll das konkret aussehen?

Im unten angehängten Dokument versuche ich, genaue Verhaltensweisen zu beschreiben, welche entweder das Annäherungs- oder das Vermeidungssystem aktivieren. Diese Liste kann dazu benutzt werden, um zu erkennen, ob man sich in einem destruktiven oder konstruktiven Feld befindet.

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