Transsexualität und Genderdysphorie in der Psychotherapie

Mit diesem Artikel versuche ich, meine Haltung bzgl. dem Thema Transsexualität von mir als Psychotherapeut transparent zu mache. Eigentlich will ich niemanden erklären, was es mit dem Phänomen Transsexualität auf sich hat. Bis jetzt bin ich dem Phänomen fasziniert, oftmals staunend, neugierig und offen dazuzulernen begegnet und möchte dies auch so beibehalten. Gleichzeitig halte ich es auch für angebracht, offenzulegen, auf was für eine Einstellung man als Klient etwa treffen wird, wenn man sich auf einen therapeutischen Prozess mit mir einlässt. 

Der Autor. Durch und durch ein echter Mann.

Trigger, Trigger, sag nicht …

Kennt ihr dieses Gefühl, auf Eierschalen zu gehen? Ich habe lange damit gerungen, mich überhaupt zum Thema explizit zu äussern. Was wenn ich etwas Falsches sage? Dennoch: Emotional sehr aufgeladene Themen sollte man nicht auf lange Sicht vermeiden, weil gerade in Konfrontation mit der Thematik, die uns am meisten Angst macht, oft das grösste Potential an kollektivem Wachstum steckt. Auch wenn es weh tut, herausfordert, uns gar zeitweise überfordert: Wenn wir wahrhaftig persönlich und kollektiv  wachsen wollen, dann gibts keinen anderen Weg als mitten hindurch!

Wie kann man es hassen, dass Menschen sich lieben? (Sookee)

Eigentlich ist Transsexualität ein überaus seltenes Randphänomen, dass viel mehr Beachtung bekommt, als es Punkto gesellschaftliche Relevanz verdient hätte. In meinem Berufsalltag ist auch Genderdysphorie selten ein Thema. Und bei den Klienten, welche ich das Thema antraf, war es nur eine Baustelle unter vielen. Dies ganz im Gegensatz zu einer von der Heteronormativität abweichenden Sexualität. Unser gesellschaftliche Umgang mit Homo- oder Bisexualität ist  immer mal wieder eine Ursache,, teilweise auch die zentrale, , die Menschen in eine Psychotherapie führt.  Deshalb habe ich keine aufrichtige Toleranz für irgendwelche kritischen Haltungen bzgl. Hetero-, Homo- oder Bisexualität. Aber dennoch glaube ich, dass es sich lohnt, Verständnis aufzubringen, für den Prozess, wie Menschen zu solchen menschenfeindlichen Einstellungen gekommen sind. Denn auch Menschen mit destruktiven Einstellungen, brauchen oftmals therapeutische Unterstützung, um diese zu überwinden. Niemand wählt sich freiwillig aus, von Hass erfüllt zu sein. Dass das Thema Transsexualität weit mehr irritiert, kann ich jedoch sehr gut nachvollziehen.


Mein persönliches Erleben

Schon während meines Studiums vor gut 20 Jahren war ich im Rahmen des Netzwerkes “Hip Hop Partisan” aktiv gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie in der Hip Hop Szene engagiert. Transphobie war damals ein absolutes Randphänomen. Ich habe also schon 20 Jahre Erfahrungen damit, wie ich die Thematik in einem Umfeld einbringe, welches nicht gerade offen für mein Engagement war und ist. Damals lernte ich im Rahmen der Gründung der Kritischen Politik an der Universität Zürich Esther Brunner kennen, welche schon damals als Transsexuelle dafür einstand, dass sie als Frau kandidieren würde

https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:1aa924d8-e559-49b8-a303-dfe12c5ea8d7


Ich lernte Esther als reflektierte, angenehme und unaufdringliche Person kennen. Ihre Transsexualität war in unseren Begegnungen nie Thema und ich empfand das als adäquat. Dass sie als Esther und als Frau anerkannt werden will, löste bei mir keine Widerstände aus. Und tut es noch immer nicht. Genauso wenig, wie es bei mir einen Widerstand auslöste, als eine Freundin von mir verkündete, dass sie eine Meerjungfrau sei. Ich fands auch cool, dass sie mit einer Schwanzflosse im City Hallenbad schwimmen ging. Etwas mehr Farbe kann der Welt nicht schaden. In meinem Umfeld kommen mir noch spontan zwei andere transsexuelle Menschen in den Sinn, die ich ähnlich unspektakulär angenehm finde und eine Person, die ich eher als anstrengend in Erinnerung habe. Aber keine nahe Person. Vielleicht habe ich sei einfach zu nem schlechten Moment kennengelernt und sie ist sonst super cosy. Aber so ist es halt mit Menschen: Die meisten sind nett, manche anstrengend und dann sind immer auch wieder anders und schwer zu kategorisieren,

Meine professionelle Einschätzung

Als Psychotherapeut bin ich es mir gewohnt, Konflikte zwischen eigenen Idealvorstellungen und dem, was in der Psychoanalyse das “Es” oder in der Tradition der Tradition Ericksonscher Hypnotherapie “der Organismus” genannt wird. Mir liegt die Haltung sehr nahe, dass es in der Psychotherapie darum geht, sich der Weisheit des Organismus gegenüber zu öffnen, also dem sogenannten Bauchgefühl, manchmal auch als “innerer Kompass” bezeichnet. Nicht, dass Gefühle immer recht haben, sie mitunter auch bewusst von anderen oder durch alte unverarbeitete Erfahrungen manipuliert werden können und der rationale Verstand extrem hilfreich ist als ergänzendes Korrektiv. Die Ablehnung des eigenen Körpers ist im Rahmen psychischer Gesundheit jedoch mehr ein fundamentales Problem als eine mögliche Lösung. Der Weg zur Besserung geht ziemlich robust  damit einher, dass man lernt, den eigenen Körper mit seinen Gefühlen besser anzunehmen und zu ehren.

Ein Anteil der denkt, dass der eigene Körper falsch ist

Anteilsarbeit hat sich als therapeutische Technik bewährt, um besser mit inneren Konflikten umgehen zu lernen  und mehr Distanz zu als belastend erlebten Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen und Impulsen zu gewinnen. Ein Anteil, der denkt, dass der eigene Körper falsch sei, gilt als überwiegend problematischer Teil im inneren System. Im  therapeutischen Prozess wird angestrebt, dass man diesem inneren Kritiker Grenzen setzt, Ein liebevoller, empathische und fürsorglicher innerer (Eltern-)Anteil soll hingegen gestärkt werden. Eine zentrale Haltung auf Beziehungsebene ist somit: Dein Körper und deine Gefühle sind völlig in Ordnung. Der Gedanke, dass man im falschen Körper geboren ist, als wahr anzunehmen, steht im fundamentalen Konflikt mit diesen sehr breit anerkannten Modellenl psychotherapeutischen Arbeitens. 

Biologisches vs. soziales Geschlecht

Das Konzept des biologischen Geschlechts ist simpel. Männer haben XY Chromosomen, Penis und flache Brüste. Frauen haben XX-Chromosomen, Vagina und ihre Brüste heben sich von denen von Mànnern ab. Selten kommen auch Menschen vor, die nicht eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können. Das soziale Geschlecht als Konzept lehne ich grundsätzlich ab. Ich sehe nicht ein, wieso man andere Eigenschaften mit dem Geschlecht verknüpfen soll, als die biologischen Merkmale. Dies gilt für mich auch für Kleidung, Gangart, Körperhaltung oder Hobbywahl. Ich trage nicht gerne Lippenstift. Das macht mich weder männlicher noch weiblicher. Ich mag es einfach nicht. Mich mit etwas Glitzer zu verzieren, kann mir aber durchaus Spass machen und der Bezug zum “queer” im ursprünglichen Sinne, das halt jeder so sein soll, wie es ihm Spass macht: Da bin ich dabei! Wenn ein Mann mir sagt, dass er gerne mit Puppen spielt und deshalb glaubt, dass er im falschen Körper geboren ist, dann würde ich fragen, wie sein Penis denn dem Puppenspiel im weg steht. Penis und Puppenspiel fangen beide mit “P” an. Also ist bewiesen, dass Puppenspiel männlich ist. Mein Hirn kann keine logische Begründung dafür finden, dass männlich und weiblich mit Charaktereigenschaften wie empathisch oder initiativ zusammenhängen sollen. Doch Spass daran haben, unlogische Argumente zu feiern: Da bin ich dabei! Aber bitte jenseits irgendwelcher Dogmen!

Schon damals vom Autoren als schlüssig erlebt.



Chirurgische Geschlechtsangleichung

Die Vorstellung, freiwillig chirurgisch irgendetwas an meinem Körper verändern zu lassen, löst bei mir ein zusammenziehen der Halsgegend und ein rausstrecken meiner Zunge aus. . Wegen einer schweren Erkrankung hatte ich schon eine sehr intime Begegnung mit einem Viszeralchirurgen. Ich hoffe, ich werde nie nie wieder meinem Körper irgend so etwas antun müssen. Nebenwirkungen von Operationen werden oft verharmlost. Die spezifische Krankheit wird beobachtet. Das geht in den Datensatz rein. Ob man dann nicht mehr fähig ist, eine Erektion zu haben oder unter Inkontinenz leidet, ist meist gar nicht mehr auf dem Schirm der Forscher und Behandler. So spricht man auch beim Thema Transsexualität sehr wenig von Komplikationen und Nebenwirkungen auch von der Hormonbehandlung. Und schon gar nicht langfristig. Oft wird einfach gepokert, dass man Glück hat und schon nichts passiert.

Vorteile des Prozederes 
Man wird nach der Angleichung wohl eher dem Geschlecht entsprechend behandelt. Es gibt durchaus Unterschiede, wie Mànner und Frauen behandelt werden. Zu manchen Typen scheint wohl eher der Umgang mit Männern und zu anderen das übliche Verhalten gegenüber Frauen als angenehmer. Offenbar ist man als Transfrau in der Fetischszene sexuell sehr begehrt. Es erleichtert einen Schnitt zum “alten Leben” mit womöglich sehr traumatischen Erfahrungen. Zudem gibt es zumindest im städtischen Umfeld grosse Bemühugen, Transsexuelle vor Gewalt und Diskriminierung zu schützen. Dies in einer Gesellschaft, in der viele Menschen psychisch krank werden und professionelle Begleitung brauchen, weil ihnen zuwenig Verständnis und Unterstützung entgegengebracht wird. Auch bei Randständigen ist es beachtlich, wie viel Helfende sich förmlich miteinander streiten, wer die arme Seele denn aus seinem Elend retten darf (die oft einfach in Ruhe gelassen werden will). Während die weniger spektakulären aber weitaus grösseren Teile der Bevölkerung, welche aufgrund prekärer Lebensverhältnisse und Mehrfachbelastungen aufgrund von Care-Arbeit und unwürdigen Arbeitsbedingungen, oft gar nicht die Energie haben, sich Unterstützung zu holen und beim Versuch davon, an irgendwelchen bürokratischen oder finanziellen Hürden abprallen. Transsexualität zieht Aufmerksamkeit auf sich mit allen Vor- und Nachteilen.


Vorteile, die ich nicht verstehen
Dazu gibt es natürlich auch noch eine Vielzahl von Vorteilen, die ich als jemand, der halt nur ich und niemand anders ist, gar nie vollumfänglich verstehen wird. So glaube ich, dass meine Qualität als Psychotherapeut oftmals mehr im Nichtwissen und im neugierig und offen bleiben steckt, als bei vorhandenem Fachwissen. Oft versteht man sein Gegenüber umso weniger, je mehr man glaubt, dass man es schon verstanden hat. Schlussendlich geht es in der Psychotherapie nicht nur darum, dass man einen Therapeut hat, von dem man verstanden wird, sondern auch darum, dass man sich selber besser versteht Aber grundsätzlich sehe ich mich nicht als höchste Instanz, sondern ganz in Ericksonscher Tradition die Weisheit des Organismus meines Klientels. Konkret Mir wäre es im Falle eines derart weit greifenden physischen Eingriffes sicher wichtig, dass man eine Entscheidung sehr kritisch und gründlich hinterfrägt. Aber wenn es sich so anfühlt, dass es das Richtige ist: Go for it!

Gendern, Deadnaming und Triggerparade

Ihr werdet es wohl gemerkt haben; In diesem Text wird nicht mit Gendersternchen oder :innen hantiert. Ich traue es Menschen zu, dass sie lernen, dass Kommunikation ein komplexes unterfangen ist, indem schlussendlich der Empfänger bestimmt, was die Sendung ist. Wer sich also von diesem Text diskriminiert fühlen will, der hat das volle Recht dazu. Es ist auch immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie manche Menschen ein mir persönlich kaum je anheim gefallenes Ausmass an Zuwendung und Unterstützung entgegengebracht wird, wenn sie sich gekonnt und mit viel Pomp als Opfer schlimmster Grausamkeiten inszenieren. Dass dies eine Gabe ist, welche nachhaltig Zufriedenheit und ein erfülltes Beziehungsleben schafft, wage ich jedoch zu bezweifeln. Viel günstiger empfinde ich es, wenn man sich antrainiert, die vielfältigen und komplexen Botschaften der Welt so zu interpretieren, dass man sich nicht persönlich angegriffen fühlt. Das Ziel in einer Gesellschaft zu leben, wo man als Transfrau von allen als Frau anerkannt wird, halte ich in dem Sinne  für völlig unrealistisch. Menschen in diesem Anspruch zu unterstützen, halte ich für fragwürdig, da es nur zu Frustration und Enttäuschung durch unrealistische Erwartungen führen wird. Persönlich habe ich aber überhaupt keine Probleme damit, Menschen so zu bezeichnen, wie sie es sich wünschen. Sei dies als Jesus Christus, Tutenchamun oder als XY-Chromosömler als Frau. Schlussendlich ist es aber einfach so, dass wir alle völlig andere Realitätskonstruktionen haben. Zu lernen, wie wir einen Umgang damit finden, in verschiedenen Realitäten zu leben, halte ich für fundamental für ein befriedigendes Beziehungsleben. Der Anspruch an eine gemeinsam geteilte Realität endet hingegen schnell in unterdrückerischer Gewalt totalitärer Systeme.


Mein Wunsch im Umgang mit Transsexualität

Das grundsätzliche Spiel mit Identität, das Ausschöpfen der Grenzen von Selbstausdruck und auch chirurgischen Mitteln der Veränderung, aber vor allem auch die ganze Vielfalt von gestalterischen MItteln, wie wir uns kleiden, verzieren, inszenieren und präsentieren; Was für eine wunderbare Möglichkeit, die Vielfalt des Lebens auszuschöpfen! Welch Inspiration sind doch Menschen, die an gesellschaftliche Grenzen und darüber hinweg gehen! Wir sollten einfach mal lernen, zu unterscheiden, was uns Angst macht, weil es unsere gewohnten Denkmuster herausfordert, oder wo wir es mit wirklichen Grenzüberschreitungen gegenüber der Würde und Unversehrtheit  von Mitmenschen zu tun haben. Wahrscheinlich haben wir nur deshalb so viel Mühe mit solch harmlosen Grenzüberschreitungen, welche eigentlich niemand wirklich schaden, weil wir so schlecht darin sind, wirklich gewaltsame Grenzüberschreitungen anzugehen.
Ich darf mich für einen geeigneten Psychotherapeuten halten, um auch Themen wie Gender Dysphorie zu begleiten und du darfst das Gegenteil denken und dies auch öffentlich bekunden. Wichtig ist, dass wir ein Bewusstsein dafür haben, wo die Grenzen zwischen dem ich und dem du verlaufen und ein “ich bin ok – du bist ok” auch dann gilt, wenn es zu keinem Konsens kommt. 

Tipp für Englischsprachige für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Transsexualität: https://www.youtube.com/c/GenderDysphoriaAlliance

4 responses to “Transsexualität und Genderdysphorie in der Psychotherapie”

  1. Wenn ich mich für Napoleon halte, komme ich in die Klappse, wenn ich mich für ein Einhorn halte oder jedes Jahr das Geschlecht “wechsele”, bin ich was besonders Wertvolles. Muss man das verstehen?

    1. Egal für wen oder was du dich hältst: Du bist etwas besonders Wertvolles. “In die Klappse” kommt man bei Selbst- oder Fremdgefährdung. Ansonsten nicht, ausser man will das freiwillig.

      1. Ich habe ja auch nicht behauptet, dass jemand, der sich für Napoleon hält oder meint, jedes Jahr sein “Geschlecht” wechseln zu müssen/wollen, gefährlich ist. Allerdings haben erstere keine Lobby, aber letztere. Und diese Lobby meint, dass sie wohl etwas “wertvoller” als der Rest der Menschheit ist. Zudem zieht diese Lobby auch noch Menschen da hinein und behauptet, sie zu vertreten, obwohl diese gar nicht wollen. Z. Z. läuft dieses ganze LGB und QTIp-Ding (ich möchte zw. den beiden unterscheiden) in eine Richtung, die sich noch als übler Bumerang entpuppen kann. Dann ist nämlich das, was man erreicht hat, plötzlich wieder komplett weg.

  2. Wieso halten die sich für wertvoller als andere?

    Ich lebe übrigens in der Schweiz. Die Debatten sind anders.

    Für Deutschland halte ich Jan Feddersen für sehr empfehlenswert im politischen Kontext.
    https://taz.de/Geplantes-Selbstbestimmungsgesetz/!5870382/

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