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Die dunkle Seite von Traumatherapie und Teilearbeit

Traumatherapie ist nicht nur eine psychotherapeutische Technik, sondern widerspiegelt oft auch ein Krankheitsverständnis wieder, welche Menschen, die an psychischen Störungen leiden, in ihrer persönlichen Integrität stärkt. Neben dieser Sonnenseite gibt es aber nicht zu unterschätzende Schattenseiten, welche desaströse Folgen nicht nur für Behandelte, sondern manchmal auch für das ganze Umfeld haben können.

Die Sonnenseite der Traumatherapie

Mein universitäre Bildungskarriere war sehr stark an die störungsspezifischen Ansätze der Psychotherapie gebunden. Dabei sieht man psychische Störungen als Erkrankungen an, deren Ursachen als ein Zusammenspiel von Veranlagung und Umwelterfahrungen gilt. Konzepte wie “Krankheitseinsicht”, mitsamt der ganzen Wertung von “krank” vs. “gesund” sind darin stark vertreten und auch Ausdruck einer dahinterliegenden Haltung, welche ein hierarchisches Verhältnis zum Ausdruck bringt. Traumatherapie verspricht hingegen einen Ansatz, wo man psychische Störungen nicht pathologisiert, sondern sie als Ausdruck unverarbeiteter traumatischer Erfahrungen sieht. Ich schätze an dieser Sichtweise und Haltung, dass sie die Selbstermächtigung von Betroffenen psychischen Leides unterstützt, was ich als zentrales Meta-Ziel jeder Psychotherapie erachte.

Die andere Seite der Medaille: Falsche Erinnerungen, ungerechtfertigte Missbrauchsvorwürfe und uneinlösbare Heilsversprechungen

Leider gibt es wie so oft im Leben auch von dieser Seite eine Schattenseite. Gerade der Glaube, dass hinter jeder psychischen Erkrankung ein Trauma steckt, impliziert ein Heilsversprechen wie Betroffenen einer paranoiden Schizophrenie, dass sie wieder gesund werden könnten, wenn sie ein vermeintlich abgespaltenes Trauma aufarbeiten würden. Bei sowieso schon vorhandener Aufweichung des Realitätsbezuges bei psychotischen Menschen, kann dies leider sehr schnell zu Missbrauchsvorwürfen gegenüber Angehörigen oder Betreuenden kommen. Auch Prominente werden immer wieder ins Wahnsystem von psychotischen Menschen einbezogen, was sie besonders anfällig macht für solche falschen Anschuldigungen, welche sich gar häufen können.

Teilearbeit: Eine bewährte und breit angewandte Technik der Psychotherapie

Anteilsarbeit hat sich in der Psychotherapie sehr breit durchgesetzt und als hilfreich erwiesen. Im Kern geht es darum, sich selbst und innere Konflikte besser zu verstehen, um damit in einer konstruktiveren Weise umgehen zu lernen. Ein Teilaspekt dieser Arbeit ist auch die Wiederversöhnung mit verbannten Anteilen, in dessen Kontext auch der Glaube verbreitet ist, dass dabei unterdrückte Erinnerungen wiedergewonnen werden können. Dabei wird zwar immer wieder betont, dass es bei der therapeutischen Arbeit nicht um den Wahrheitsgehalt dieser Erinnerungen geht, sondern um einen Heilungsprozess an sich, doch wird viel zu wenig auf das Risiko falscher Erinnerungen hingewiesen.

Psychoedukation über das Gedächtnis ist unverzichtbar

Es gibt ein erstaunliches Abweichen der Grundlagenforschung zum Thema Erinnerung und dem, was in der Traumatherapie diesbezüglich vertreten wird. So gilt in der Grundlagenforschung die Erkenntnis, dass je emotional geladener Erinnerungen sind, desto besser werden sie erinnert. Dem widersprechend wird im Rahmen von Teilder der Traumatherapie-Szene vertreten, dass besonders belastende Erinnerungen nicht mehr erinnert werden können. Dies widerspricht meiner persönlichen Erfahrungen als Psychotherapeut mit von sexuellem Kindsmissbrauch betroffenem Klientel, welche eher unter zu gutem Erinnern als am Vergessen leiden. Auch bei Menschen, die keineswegs in einem guten psychischen Zustand sind, lässt sich dies beobachten (was wiederum der Hypothese widerspricht, dass man solche Dinge erst erinnere, sobald man genügend stabil sei). Erinnerungslücken können aber im Zusammenhang mit Kopfverletzungen oder auch dem Gebrauch von Medikamenten/Substanzen, welche zu einem Erinnerungsverlust führen, vorhanden sein. Auch dass wir die ersten Lebensjahre nicht erinnern können, ist völlig normal und als infantile Amnesie bekannt. Was aber durchaus vorkommt, dass schon die erlebte Neugier von mir als Psychotherapeut an den Biographien meines Klientels, Erinnerungsprozesse auslöst, welche viel Verschüttetes wieder zum Vorschein holt. Dies halte ich aber für ein Phänomen, welches unabhängig vom Grad der Belastung von Erinnerungen passiert. Und muss auch nicht unbedingt der hilfreiche Ansatz in einer Therapie darstellen. Manche Klienten empfinden es so als unnötig belastend, in der traumatischen Vergangenheit “rumzugrübeln”. Der Fokus auf den Umgang mit der Gegenwart oder auch positive Erinnerungen ist teils auch der viel effektivere Weg, um Therapieerfolge zu erzielen.

Fazit: Sich den Grenzen des eigenen Wissens bewusst sein und Annahmen möglichst sorgfältig überprüfen

Das Erforschen eigener Innenwelten und das Bewusstwerden dieser, halte ich für eine sehr sinnvolle Tätigkeit im Rahmen von der Psychotherapie im Sinne der Klärung eigener Bedürfnisse und innerer Konflikte. Dabei aufkommende Bilder und Erinnerungen würde ich ohne zusätzliche Überprüfung ein gesundes Misstrauen entgegenbringen im Bewusstsein darüber, wie anfällig für Fehler unsere Erinnerungen sind. Den Heilsversprechungen von Traumatherapie stehe ich sehr kritisch gegenüber. Das Aufarbeiten von belastenden Erfahrungen aus der Vergangenheit hat aber unzweifelhaft einen immensen Nutzen in der Psychotherapie. Trotzdem ist keine noch so gute Therapie ein Allheilmittel. Leid und Krankheit lässt sich nicht vollständig beseitigen und der Versuch, dies zu bewerkstelligen schafft oftmals nur zusätzliches unnötiges Leid.

Mehr rund um die Thematik findet sich auch im Psychoscope, der Fachzeitschrift des Berufsverbandes der Psychologen und Psychologinnen der Schweiz, wo ich auch einen Beitrag beigesteuert habe; https://www.psychologie.ch/psychoscope-22022-0

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